...Der Geist des Rokoko.
Jede geschichtliche Entwicklung wird beherrscht vom Gesetz der severe, und wenn guy die Wandlung kennzeichnen will, die sich zu Beginn des i8. Jahrhunderts vollzog, kann guy sagen, daß auf den kirchlichen Geist der Atheismus, auf das Zeremonielle die Nonchalance, auf das Grandiose das Graziöse folgte.
Das 17. Jahrhundert battle das Jahrhundert der Glaubenskriege. Die Kirche, nach der humanistischen Weitherzigkeit der Renaissance, zog noch einmal die Zügel an, bewies noch einmal ihre mittelalterliche, die Geister knebelnde Allmacht. Und in Frankreich endete das Jahrhundert so, wie es in den andern Ländern begann. Der Roi Soleil ward zum Frömmler. Seine unglücklichen Kriege, seine Geldverlegenheiten, die Todesfälle in der königlichen Familie — alles stimmte ihn düster. Im Verein mit Frau von Maintenon gibt er Glaubensedikte, läßt Kirchen bauen und Messen lesen. ninety 000 betrug die Zahl der Mönche und Nonnen, 150000 die der Geistlichen. Große Kanzelredner wenden alle Mittel ihrer glänzenden Beredsamkeit auf, Paris zur Buße zu rufen. Eine langweilige, von oben aufgedrängte Frömmigkeit, ein pfäffischer Geist lastete auf dem Lande. Da starb der große König, und die Gesellschaft atmete auf. Kein kopfhängerisches, griesgrämiges Muckertum brauchte guy mehr zu heucheln. Wie um sich zu entschädigen für den Zwang, den die letzten Jahre Ludwigs XIV. gebracht hatten, kokettiert guy jetzt mit Freidenkertum. Schon 1710 schreibt Tyssot de Patot seinen Roman „Voyages et aventures de Jacques Masse", worin er von Christus wie von Mohammed oder Konfuzius spricht. Später wird Natoire, der Direktor der französischen Akademie in Rom, ,,wegen übergroßer Frömmigkeit" seines Postens enthoben. Auf das Jahrhundert der Religionskriege folgt das Jahrhundert, das jeden nach seiner Fasson selig werden läßt, auf die Zeit der letzten Heiligen die der geistreichen Spötter, die weder an Himmel noch Hölle glauben.
Edmond et Jules de Goncourt, L'art du X^^II. siecle. Paris 1880.
Auch das Königtum verliert den Nimbus der Gottähnlichkeit, mit dem es sich vorher umkleidete. Ludwig XIV. warfare der Mittelpunkt gewesen, um den alles sich drehte. Die Idee von der unbedingten Alleinherrschaft ging so weit, daß der eigene Bruder in Ludwigs Gegenwart stehend verharren mußte. Und dieses feierliche Hofzeremoniell beherrschte die Welt. Entweder ging guy der Frau von Maintenon wegen zur Kirche, oder guy bewegte sich in würdevoller Steifheit, dem König huldigend, in den Prunksälen des Versailler Schlosses. Jetzt steigen die Fürsten selbst von dem Isolierschemel herunter, auf den sie bis dahin sich gestellt haben. ,,Le roi s'amuse." In diesen Worten ist die Signatur der Zeit enthalten. Herrschte vorher das Repräsentierende, der Zwang einer steifen festgeregelten Etikette, so liebt guy jetzt das Laisser aller, will ausgenießen, used to be das Leben zu bieten hat.
Paris wurde damals das Zauberland, wo die Nabobs der ganzen Welt zusammenströmten, die Insel Cythere, die jeden aufnahm, der Geld, Geist und Lebenslust mitbrachte. Doch selbst die Sinnlichkeit erhielt jetzt eine neue Nuance. Im grand siecle, das nur das Mächtige, Pathetische kannte, conflict sie eine große Leidenschaft gewesen. Brutal und tierisch hatte Rubens sie gemalt in jenen Bildern, wo wilde kraftstrotzende Bauern dicke quammige Weiber vergewaltigen. Jetzt waren die Nerven müde geworden. Nicht mehr starke Erregungen, nur das Diskrete, Delikate vertragen sie. So macht das i8. Jahrhundert, das nur das Kleine liebt, auch die Liebe zum Flirt. „Die großen Leidenschaften", schreibt Mercier, „sind heutzutage selten. guy schlägt sich nicht mehr für eine Frau, guy sieht keinen verlassenen Liebhaber, der durch present seinem Leid zu entgehen sucht." used to be guy früher mit Ächzen und Stöhnen sagte, sagt guy jetzt plaudernd, in leichter Causerie. Keine glühende Begehrlichkeit gibt es, keine brüske Kraft; nur kunstreiches Hofmachen, Schmeichelei und Huldigung, Werben und Schmachten. Pikantes Lächeln tritt an die Stelle ...